Bei der "Aktion Schulhof" handelt es sich um eine
Propagandamaßnahme deutscher Rechtsradikaler. Zuerst tauchte die Idee im Lager
der "Freien Kameradschaften" auf, die 2004 kostenlose Musik-CDs in der Nähe von
Schulen und Jugendtreffs im gesamten Bundesgebiet verteilen wollten. Mit Propagandatexten und Rechtsrock sollten Jugendliche für
die rechtsextreme Szene gewonnen werden. Nach den Erkenntnissen des
Verfassungsschutzes von Nordrhein-Westfalen war eine Startauflage von 50.000 CDs
vorgesehen, die jedoch wegen einer Verbotsverfügung nie offiziell verteilt
werden konnte.
Die Nazis wollten daraufhin die
geplanten Inhalte per Internet vermitteln. Die dazu vorgesehene Domain "http://www.aktion-schulhof.de"
wurde allerdings von haGalil.com besetzt und auf das Angebot von
schule.judentum.de umgeleitet.
Die erste CD beinhaltete neben jeder Menge nazistischer MP3s auch diverse Propagandatexte,
sowie Kontaktadressen im gesamten deutschsprachigen Raum. Zu den
Unterstützern zählten viele einschlägig bekannte Nazi-Labels und Versandhändler,
unter anderem "Backstreetnoise" und "PC-Records" aus Chemnitz. Es zeigte
sich
einmal mehr, dass es notwendig ist, die breite Vernetzung von Naziläden
aufzudecken und zu versuchen derartige Propagandaaktion zu verhindern.
Inzwischen hat die NPD das Pilotprojekt der Freien
Kameradschaften aufgegriffen. Die Partei produzierte in den Jahren 2004,
2005 und 2006 eigene Schulhof-CDs.
"Aktion Schulhof"
Wie Neonazis mit Musik den Nachwuchs ködern
Bei der "Aktion Schulhof" wollte ein rechtsextremes Netzwerk im Jahr
2004 rund 50.000 CDs gratis an Schulen verteilen. Staatsanwälte stoppten
die Aktion, die CDs verschwanden im Untergrund. Die Aktion zeigt
exemplarisch, wie wichtig Musik für Neonazis ist und wie hoch deren
Organisationsgrad ist.
Von Patrick Gensing,
tagesschau.de
Mindestens 50.000 CDs mit dem Titel "Anpassung ist
Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" sollten zum Schuljahresbeginn 2004
bundesweit an Schulen kostenlos verteilt werden. Die Staatsanwaltschaft
Halle verbot dies, weil die CD stark jugendgefährdend sei. Und dies
"allein schon deshalb, weil auf ihnen Jugendliche zur Kontaktaufnahme
mit Rechtsradikalen vor Ort aufgefordert werden", erklärte
Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad aus Naumburg. V-Leute hatten dem
Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt erste Exemplare zugespielt. Entgegen
früheren Aussagen kann der Staat sehr wohl etwas gegen die Verbreitung
dieser CDs unternehmen. Denn "die zum 1. April in Kraft getretene
Neufassung des Jugendschutzgesetzes verbietet nicht nur das Verteilen
sondern auch das Vorrätighalten von schwer jugendgefährdenden
Schriften".
Der Polizei gelang die Beschlagnahme der Lieferscheine für 50.000 der
"Aktion Schulhof"-CDs, die Tonträger selbst konnten aber nicht gefunden
werden. Unabhängig von der juristischen Entscheidung werde die CD
verteilt - dann eben illegal, sagen die beiden
Rechtsextremismus-Experten Jan Raabe und Andreas Speit. Es gibt bereits
eine ganze Reihe rechtsextremer CDs und Lieder, die trotz eines Verbots
in der neonazistischen Szene Kultstatus erlangt haben.
Vernetzt auf der Suche nach neuen Mitgliedern
Speit und Raabe, die seit Jahren die rechtsextreme
Szene erforschen, verweisen bei der "Aktion Schulhof" insbesondere auf
die veränderte strategische Vorgehensweise der Rechten. Mehr als 50
neonazistischen Gruppen, Rechtsrockbands, "Freie Kameradschaften" und
Musikvertriebe würden hier vernetzt arbeiten.
Vor zehn bis fünfzehn Jahren hätten die Neonazis noch über Parteien,
Vereine und Wählergemeinschaften ganz konventionell versucht,
Jugendliche für sich zu gewinnen. Inzwischen hätte sich ein
"bewegungsförmiger Charakter" entwickelt, so Raabe und Speit. Der Grund:
Die gesamte Szene sei "vorübergehend" geschwächt gewesen, nachdem Anfang
der 90er Jahre viele rechtsextreme Organisationen verboten worden waren.
Der Staat hatte so auf die Brandanschläge und rechten Überfälle mit mehr
als 70 Toten reagiert.
Attraktiv für Jugendliche: "Freie Kameradschaften"
Laut Raabe und Speit hätten daraufhin die "Vordenker
der Neonazis" überlegt, wie sie auf die Verbotswelle reagieren könnten.
Die Lösung sei einfach, aber effektiv gewesen: Die Extremisten gründeten
Organisationen ohne formellen Rahmen - so genannte "Freie
Kameradschaften". Da der offizielle Charakter einer Organisation fehlte,
seien die Gruppierungen resistent gegen Verbote geworden, sagen die
Experten. Außerdem hätten sich die "Freien Kameradschaften" als deutlich
attraktiver für Jugendliche erwiesen. So hätten laut Raabe und Speit die
Gruppierungen die Musik in ihre politische Arbeit integriert. Seitdem
gäbe es Konzerte, Biergelage und Spaß, statt langweilige Parteiabende.
Die Initiatoren der "Aktion Schulhof" kämen aus diesem "Gemenge". Die
CD-Herstellung sei kein Problem gewesen, da mehrere rechte Plattenfirmen
und Vertriebe bei der Planung und Produktion eingebunden gewesen seien.
Das notwendige Geld stamme zum einen aus dem Handel mit Rechtsrock-CDs,
zum anderen aus Erbschaften, wissen Speit und Raabe.
"Die braune Kultur wird bunter"
Auch die Neonazis haben erkannt, dass sich Musik
besonders gut eignet, um Inhalte zu transportieren. Dies nutzen sie.
Laut Raabe und Speit gibt es im deutschsprachigen Raum inzwischen rund
380 Rechtsrockbands. Diese Bands ordneten sich durchaus politisch ein,
weil sie mit ihrer Musik die rechte Ideologie verbreiteten. Die Musiker
seien nicht mehr überwiegend Skinheads. Das neonazistische Spektrum habe
sich anderen Subkulturen geöffnet. Neonazis liefen nicht mehr in
SA-Uniformen herum, die rechte Szene sei bunter geworden, fügt Raabe
hinzu.
Rechtsextremismus auch an Gymnasien
Durch die offensive Art, auf breiter Front
konzentriert und abgestimmt zu agieren, werde eine neue Qualität des
Rechtsextremismus in Deutschland erreicht, betonen die beiden Forscher.
Mit der "Aktion Schulhof" sprechen die Neonazis nicht nur so genannte
Problem-Jugendliche an. Es sei festzustellen, dass sich immer mehr
Gymnasiasten und Studenten bewusst für die Rechtsextremisten
engagierten.
Aber es gibt auch Widerstand: An vielen Schulen hätten sich
Anti-Initiativen gegründet, eine "Gegen-CD" sei in Planung und auch die
zuständigen Behörden seien sensibilisiert. Für Speit und Raabe ein gutes
Zeichen. Seit langem kritisieren sie die oft vertretene Ansicht, dass
die Macht der Rechtsextremisten nachgelassen habe, weil weniger
Organisationen angemeldet seien als vor einigen Jahren. Die Experten
beobachten jedoch das Gegenteil: Die Rechtsextremisten agieren durch
ihre "Freien Kameradschaften" sehr viel effektiver. Ihre Bedeutung bei
Jugendlichen ist gewachsen und damit auch ihre Macht.
Jan Raabe ist Sozialpädagoge und in der Jugendarbeit tätig. Er
veröffentlichte zahlreiche Artikel zum Thema Rechtsextremismus und ist
Mitautor des Buches "Rechtsrock - Bestandaufnahme und Gegenstrategien".
Andreas Speit klärt in der Bildungsarbeit verschiedener
gewerkschaftlicher Einrichtungen über das Thema Rechtsextremismus auf
und ist Mitautor des Buches "Braune Kameradschaften - Die neuen
Netzwerke der militanten Neonazis".
Stand: 19.06.2006
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